IV.2 Argumente gegen traditionalistische Auffassungen und rein formale Konzepte eines Rechts auf kulturelle Identität

Mit Argumenten gegen Begriffe authentischer, reiner, in sich einheitlicher, geschlossener und/oder statischer Kultur

 

1. Naturalistischer Fehlschluss. Von Sein lässt sich nicht aufs Sollen schließen. Aus der bloßen Tatsache, dass etwas ist, wie es ist, folgt nicht, dass es so sein sollte oder so bleiben sollte. Dass ich seit zehn Jahren Fahrrad fahre, heißt nicht, dass ich auch weiterhin Fahrrad fahren müsste.

2. Geltung ist unabhängig von Genesis. Die Wahrheit, Trefflichkeit, Stichhaltigkeit oder Gültigkeit einer These oder Theorie ist unabhängig von Zeit, Ort und Autorschaft ihres Entstehens. Etwas ist nicht deshalb fragwürdig, weil es "deutsch" oder "nicht deutsch", "chinesisch" oder "nicht chinesisch" ist. Selbst die Behauptung eines Gegners kann wahr sein.

3. Radikaler Traditionalismus ist selbstwidersprüchlich. Er schließt einen performativen oder pragmatischen Selbstwiderspruch ein; denn jeder Traditionalist weicht selbst von Früherem ab. Sonst müsste er noch leben wie die ersten Menschen.

4. Das Argument, dass man nur Menschen seiner eigenen Kultur verstehen könne, ist selbstwidersprüchlich. Ein Japaner, der einem Europäer gegenüber behauptet, dass nur Japaner Japaner verstehen könnten, begeht einen performativen Widerspruch. Da seine Behauptung symmetrisch ist, besagt sie auch, dass er als Japaner gar nicht wissen kann, ob ein Europäer einen Japaner begreifen könne.

5. Transkulturelle Kritik braucht nicht ethno- oder kulturzentrisch zu sein. Kritisiert man Züge einer fremden Kultur, so braucht man nur (1) ähnliche Züge der eigenen Kultur anzuprangern und (2) Mitglieder aus der fremden Kultur zu zitieren, die vergleichbar urteilen wie man selbst. Und schließlich wäre, wie unter 4. angesprochen,  (3) jede transkulturelle Kritik unhaltbar, wenn die z. B. für jede "europäische" Kritik an Nicht-Europäischem gelten würde. 

6. Transkulturelle Kommunikation und Verständigung ist auch keinesfalls prinzipiell unmöglich. Sie folgt ja allgemeingültigen Regeln der Logik und allgemein menschlicher Erfahrung, einem (allgemeingültigen) pragmatischen Kausalitätsprinzip, ist Funktion anthropologischer Konstanten wie insbesondere der Abneigung gegen Leid und Schmerz, allgemeiner ethischer Normen usw. 

Eine kritische Analyse von Kulturen und Kulturbegriffen liefert weitere Argumente gegen Traditionalismus und den Anspruch auf ein unbedingtes Recht auf kulturelle Identität.

Die wichtigen Folgerungen der argumentativen Auseinandersetzung mit Problemen der Traditionalität sind: