I Allgemeine Rechtfertigung einer Philosophie der Menschenrechte: die Minderung des Leids, das sich die Menschen antun

 

Die Menschenrechte sind Thema von Politik, Recht, Religion und Massenmedien. Sie sind es in allen Erdteilen. Zu den akademischen Disziplinen, die sich mit ihnen befassen, zählen Politologie, Soziologie, Psychologie, Rechtswissenschaft, Religionswissenschaft, Theologie, Ökonomie, Kulturwissenschaften wie Sinologie und Islamistik und eben auch die Philosophie. Das Thema hat seit etwa 1990 Konjunktur. Gewiss ist gerade akademisches Interesse oft auch Mode, Versuch, Marktlücken zu besetzen, und Stellenstreit. Aber die Menschenrechte gehören zu jenen Gegenständen, die in der Tat eine kontinuierliche Auseinandersetzung verlangen. Dies jedenfalls dann, wenn die Diskussion dazu beiträgt, das Leid zu mindern, das sich die Menschen seit jeher zufügen. Die Wirkung mag gering sein. Sie mag spät und vielfach vermittelt eintreten. Aber das macht die Auseinandersetzung nicht überflüssig.

Das festzustellen, heißt nicht, edlen moralischen Sinn offenbaren zu wollen. Es geht nicht darum, eine Tätigkeit zu rechtfertigen, indem man sie als hehren Streit um das Gute beschreibt. Es gibt glaubhaftere Gründe, sich dafür einzusetzen, dass Erniedrigung, Folter, Mord und Totschlag endlich aufhören.

Die massenhaften Gräuel des 20. Jahrhunderts sollten erneut gezeigt haben, dass so gut wie jeder von uns potentieller Täter und potentielles Opfer ist. Wie sonst wären die Unmenschlichkeit von Stalinismus, Nazismus, das Nanjing-Massaker der Japaner, Maoismus, Terrorismus der Roten Khmer, die Bürgerkriege in Afrika und auf dem Balkan zu erklären [Abb. 1]? Gesunder Egoismus sollte ausreichen, um ein für alle Mal verhindern zu wollen, dass sich derartige Schrecken wiederholen, mag der Erfolg der Bemühungen auch in weiter Ferne liegen.

Doch brauchen wir dazu Philosophie? Es scheint offenkundig, dass Politik, Gesetzgebung und Rechtssprechung geeigneter sind, Menschenrechten zur Geltung zu verhelfen. Auch Politologie, Soziologie, Rechtswissenschaft und Analysen interkulturellen Miteinanders scheinen leistungsfähiger. In Wirklichkeit freilich kommt nicht eine der Institutionen, Praktiken und Wissenschaften ohne Philosophie aus, und das Wissen um philosophische Grundlagen, Kriterien und Komponenten vermag ihren Erfolg erheblich zu steigern.

Insbesondere gilt: 

Allgemein gesagt, motivieren und rechtfertigen also zwei Faktoren eine Philosophie der Menschenrechte, ja machen sie sogar unverzichtbar: erstens das Ziel, Leid zu beseitigen oder doch zu mindern, und zweitens die Tatsache, dass Philosophie unentbehrlich ist, um dieses Ziel zu erreichen.

Menschenrechtserziehung

d.h. Erziehung zur Kenntnis der Menschenrechte, zu einer menschenrechtsfördernden Einstellung und zu einem menschenrechtsentsprechenden und menschenrechtsförderndem Verhalten, 

ist auf lange Sicht das einzige Mittel, das umfassenden und bleibenden Erfolg verspricht. Diese Überzeugung findet in zahlreichen entsprechenden Überlegungen und Projekten ihren Niederschlag. Sie dürfte mittlerweile unstreitig sein. Falls überhaupt, sind jedoch nur wenige dieser Projekte philosophisch orientiert oder gar dezidiert philosophischer Natur. Dies braucht ihren Wert nicht zu beeinträchtigen. Dem Gesagten zufolge ergibt sich daraus jedoch die Notwendigkeit eines philosophischen Konzepts der Menschenrechtserziehung. Inhaltlich gesehen, heißt dies, eines Konzeptes, das vor allem

Es geht also um Listen von Klassen von Argumenten und ihrer Qualität.